• Skulptur oder Bild, architektonischer Entwurf oder Detail eines Abbruchs, skulpturale Installation oder akzentuierender Einbau im Raum, Kulisse oder gar eine neue Wandverkleidung – diese Arbeit von Nicola Schudy trägt Momente all dieser Charakterisierungen in sich; und es ist gerade die Vieldeutigkeit, welche den Reiz und die Besonderheit dieses Sonderlings ausmacht. Sämtliche Arbeiten entstehen letztlich aus kritischer Beobachtung unserer städtischen Umwelt heraus. Schudys Reaktionen hierauf sind gezeichnete oder plastische Konstruktionen, die einen Freiraum für neu zu denkende Möglichkeiten wenn nicht gar Wirklichkeiten schaffen.

    Bei den Installationen bedient sich die Künstlerin gebräuchlicher Materialien und Werkstoffe aus dem Baumarkt wie eines Metallständerwerks und Rigipsplatten, hinzu kommen Plakate, Folien, Farben und Lacke, oder auch Stoffe und Fundstücke. Die allbekannten Werkstoffe kombiniert die Künstlerin zu rätselhaften Konstrukten, deren Wert trotz Nähe zum Realen jenseits jeder Nutzbarkeit liegt und an die Imagination des Betrachters geradezu appelliert. Vielfach antwortet sie mit ihnen auf prägende Besonderheiten des jeweiligen Raumes wie eine Kassettendecke, den Parkettboden oder das Fenstergitter.

    In dem vorliegenden Falle lehnt sich die Arbeit weder formal noch inhaltlich eng an den umgebenden Raum an; vielmehr steht die Installation frei als hoher Raumteiler in der Mitte. Ihr fehlt die Eigenschaft, als Modell dienen zu können, sie gibt sich vielmehr als eine eigenständige Komposition. Ihre plane, bemalte Oberfläche rückt sie in die Nähe von abstrakter Malerei, und da sie nur eine Ansicht zeigt, gewährt sie auf der Rückseite Einblick in die Art ihrer Herstellung; man erkennt das Metallgestell, Holzlatten und die Schrauben und gewinnt ein Gefühl dafür, wie viel Systematik beim realen Bauen enthalten ist. Die leichte Schräge der aufgebrachten Platten und die im Hinblick auf eine geschlossene Form fehlenden Elemente weisen letztlich auf die Assoziation ‚Mauer‘ zurück; sie lassen den Blick auf den beigegrauen Flächen hin und her wandern und entlang ihrer Kanten einen rhythmischen Verlauf erspüren. Scheinen die Platten gleichsam zu stürzen, so wird diese Bewegung von den unteren Platten wieder aufgefangen. Während Schudy die Oberflächen der meisten Rigipsteile malerisch ausdrucksvoll behandelt hat, sind ausgerechnet die beiden hellblauen Teile, die man trotz ihrer niedrigen Position automatisch mit Himmel assoziiert, nicht atmosphärisch sondern monochrom gehalten. Spätestens diese Vorstellung bringt den Außenraum ins Spiel. Das Werk ist gewissermaßen im Übergang zwischen Innen- und Außenraum angesiedelt, dabei keineswegs ortsgebunden.

  • Im Grunde ist Nicola Schudy eine Raum-Ethnologin. Bevor sie mit ihrer eigentlichen künstlerischen Arbeit beginnt, untersucht sie den Ort, um den es geht, zunächst intensiv auf dessen spezifische Eigenschaften und Eigenheiten hin und unterzieht ihn aus verschiedenen Blickwinkeln einer modellhaften Betrachtung. Äußerst sensibel erfasst und analysiert sie dabei die architektonischen wie die atmosphärischen Verhältnisse und extrahiert daraus die für sie entscheidenden Momente einer räumlichen Situation. Diese werden dann fokussiert und gleichsam herangezoomt, um sie zum Gegenstand eines skulpturalen Weiterspinnens, eines installativen Fabulierens zu machen. Die charakteristischen, prägenden Gegebenheiten von Orten und Räumen mit ihren jeweiligen Proportionen, Formen, Strukturen, Oberflächen, Materialien und besonderen Details erfahren durch Schudys bildnerische Vorstellungskraft irritierende, verunsichernde, zuweilen fast verstörende Fortschreibungen. Sie sind konsequent abgeleitet von den Dingen, die man in unserer vom Menschen gestalteten Lebenswelt antrifft und die einen immer wieder staunen lassen. Manchmal handelt es sich dabei um ein Staunen, das der Beglückung, oft genug jedoch um eines, das der Fassungslosigkeit geschuldet ist.

    Schudy reagiert auf diese Weltgestaltungsphänomene mit Interpretationen und Phantasien, die an Chimären erinnern, von denen wir bei fiebrigen Bewusstseinszuständen heimgesucht werden. Das kann bis zu grotesk anmutenden Material- und Objektmutationen im surrealen Grenzbereich führen, die den Eindruck erwecken, der betreffende Raum sei unbekannten Kräften ausgesetzt oder einige der baulichen und gestalterischen Elemente dort hätten womöglich ein beunruhigendes Eigenleben entwickelt: Fliesen und Furniere, Blechprofile und Kunststoffpaneele, Parkettböden und Tapeten scheinen zu wuchern, sich auszubreiten, Flächen und Volumen zu erobern, sind aufgebrochen, zersplittert, ins Fallen oder Kippen geraten. Die bislang „friedlichen“ und einigermaßen verlässlichen Komponenten in unserer direkten architektonischen Umgebung haben sich anscheinend auf unkontrollierbare Weise verändert – und damit natürlich auch den gesamten realexistierenden Raum, dem sie entstammen oder entstammen könnten. Dass Schudy hierbei sowohl Originalmaterialien wie auch an Kulissenbau erinnernde „Nachahmungen“ verwendet, verstärkt noch die Wirkung einer irreal erscheinenden Differenz. Zugleich aber ist es ein deutlicher Hinweis, dass es ihr keineswegs um ein illusionäres Effektspektakel geht, sondern trotz allem um ganz bewusst „artifiziell“ gehaltene Bilder zu und in architektonischen Zusammenhängen – sei es als Zeichnung, als dreidimensionale Miniatur oder als raumgreifende skulpturale Installation.

    In diesen Raumbildern gibt es nichts zu dechiffrieren, keine konkrete Bedeutung zu entschlüsseln oder symbolistische Verrätselung zu lüften. Schudy führt uns in ein absurdes Theater der Dinge, in Bühnenbilder fiktiver Stücke, in Filmsets von Gegenwartsmärchen, dessen eigentliches Figurenpersonal womöglich wir selbst sind. Mitunter sind es tragikomisch wirkende Szenerien, die auf skurrile Weise an die unseligen Konfrontationen des Menschen mit den Tücken der Objekte gemahnen, die aber auch Bedrohlichkeit evozieren können wie die vielen Varianten des Unheimlichen, die wir aus Literatur und Kino kennen. Bei allen ihren Arbeiten wird man vor allem von einem unwägbaren Dahinter berührt, begleitet von einer mal eher süßen, mal eher bitteren Tristesse, die Türgriffen, Jalousien, Teppichböden oder abgehängten Decken innewohnen kann. Und insofern stehen ihre Räume, die nicht zuletzt von Verfall und Auflösung und damit vom Wissen um die Vergänglichkeit handeln, natürlich auch in der langen Tradition der Vanitas-Metaphern. Vermutlich ist es eine Frage des Typs und der persönlichen Verfassung, ob Nicola Schudys Werke einen auf merkwürdige Weise anrühren und sogar versöhnlich stimmen können, oder ob sie einen erst recht frösteln lassen in dieser fremden und seltsamen Welt, an der wir alle, ob wir wollen oder nicht, immer weiterbauen müssen.

  • Auf dem Parkett bildeten sich kleine Pfützen. Das Rollen hatte zugenommen und klang näher. Die meisten Gäste saßen inzwischen aufrecht, und mit ihren bei Kerzenbeleuchtung aschfahlen Gesichtern sahen sie aus, als seien sie ohnehin schon längst tot. Ich stand auf und sagte, ‚ich gehe', leise genug, um die Musiker nicht zu verletzen, aber laut genug, um den anderen Gästen zu bedeuten, daß ich mutig genug war, meine Angst einzugestehen. Auf dem Fußboden stand nun ein fast gleichmäßig verteilter Wasserspiegel
    Dem Ende einer dekadenten Welt im Wasser, wie es Wolfgang Hildesheimer in seinen ‚Lieblosen Legenden' stattfinden ließ, hat Nicola Schudy einiges entgegenzusetzen. Furchtlos beschäftigt sie sich mit schwarzen Löchern, speziell mit dem sogenannten ‚Schwarzen Loch' selbst. Sie sagt nicht, ‚ich gehe', sondern sie bleibt, vorzugsweise auf dem Boden, den sie sich selber legt, die unumgängliche Grundlage für ihre Untersuchungen zu zweckfreien Räumen. Und dafür verwendet sie das bürgerliche Parkett, einen Fußboden, der Solidität und Sicherheit vermittelt.
    Ländliche Fußballplätze waren ein Ausgangspunkt für ihre Arbeit, das leere Feld in der Landschaft. Die ‚Verschluckte Landschaft' erwies sich in der Jurastadt Besancon als eine sich selbst verzehrende Skulptur. Ein ‚Instant Room (am Ereignishorizont)' wurde im April 2006 in der Galerie der Stadt Remscheid eingerichtet. Dazu gehörte auch Wandmalerei mit einer anschaulichen Darstellung des schwarzen Lochs und der Beischrift ‚vielleicht wirkt die Einsamkeit wie ein Magnet'. Noch auf den neuen Aquarellen ist eine sperrige Qualität zu spüren, ob es sich nun um Straßenleitplanken, Balkonbrüstungen, Tunnelschlünde oder eine Gebirgshütte mit ihrem eingebrochenen Dach handelt - eine Welt der Stelzen und Barrikaden, der Abwehr und Isolierung.
    Schließlich für Balmoral eine jüngste Ortsbeschreibung, ausgeführt als begehbare Rauminstallation im eigenen Atelier, eine Art Selbstversuch zum Thema Parkett. Die Tür steht ein wenig offen. Mittels einer Stufe erklimmt man das neue parkettierte Niveau, in das sinnreich unterschiedlich große, schräggestellte Klappen gesägt sind, Falltüren für kleine Tiere, aber auch für unseren Blick in die untere Ebene, die ebenfalls mit Parkett ausgelegt ist. Dort aber sind die Riemen gewaltsam aufgerissen, als hätte sie eine unterirdische Kraft gesprengt und nach oben gedrückt. Sichtbar wird jetzt ein Abgrund, in seiner schwarzen Tiefe nicht messbar, grundlos.
    Der doppelte Boden - ein Hilfsmittel bei allerlei Zauberei - wird hier zur körperlichen Erfahrung, nicht ohne die Zeichen einer gewissen Brutalität. Woran immer die Person, die diesen Ort betritt, sich zu orientieren versucht, wird sie sich nicht einem ‚interesselosen Wohlgefallen' überlassen können. Die ästhetische Wahrnehmung bleibt nicht unberührt von einer tieferen Einsicht, die als Metapher zum doppelten Boden gehört: Lücken durch die man woanders hin denken muß, sagt die Künstlerin. Caspar David Friedrich hat sich mit seinem eisigen Bild der ‚Gescheiterten Hoffnung' auf ähnlichem Terrain bewegt.

  • Nicola Schudy; Eine architektonische Sehnsucht in 1:50.
    Ein prachtvolles Gründerzeithaus beherbergt das newropean institute und dieses wiederum die Installation der Künstlerin Nicola Schudy. Man erblickt auf einer tischhohen Platte eine stilisierte Gartenlandschaft mit einer Erhebung, auf der - wie es klassischer nicht sein könnte - eine Laube oder auch ein Tempietto plaziert ist In dieser Idylle leuchtet die Architektur und nicht die Sonne. Der Anblick ist gleichermaßen fremd und verlockend. Pflanzen, Erde und Kiesel bilden lebendige Inseln und Farbtupfer. Mit ihrem kräftigen Pink schaffen die Alpenveilchen eine Atmosphäre aus Exotik und Kitsch.


    Betritt man den Raum, so kommt der Ton hinzu. Aus Lautsprechern hört man Zikaden, die tapfer gegen den Lärm der Roonstraße anzirpen. Dann wieder erklingt zartes Glockenspiel oder man hört den Wind pfeifen. Dann und wann schwillt das Vogelgeschrei enervierend an und jeglicher paradiesischer Eindruck ist zerstört bis die Zikaden einen wieder versöhnen. Textfragmente werden wie Überschriften auf die Wand projiziert und verleihen der Installation eine weitere Dimension.

    Für Nicola Schudy stellt der Locus amoenus eine Art "blauer Blume" der Architektur dar. Mehr poetische Idee als real gestalteter Raum, ein fiktiver Ort, an dem sich die Widersprüche auflösen ins Unbestimmte, so wie es modellhaft in ihrem Szenario vorgeführt wird. Und das gilt in doppeltem Sinne, denn die Installation visualisiert einen Vorschlag der Künstlerin zur Gestaltung einer Brachfläche in Berlin. Nicola Schudy schließt die Lücke, indem sie ein Stück Arkadien in den Alltag holt. Denn das ist es, was ihr in der Stadt fehlt: zweckfreie Flächen und Räume, Oasen der Fantasie und Poesie, deren ausschließliche Funktion es ist, sich allen Funktionen zu entziehen und allein der Muße und dem Genuss zu dienen.